Making Memories (16. / 17.9.)

Der Tag beginnt erst mal leicht problematisch. In der irrigen Annahme, dass es sich bei einem Pumpkin Spice Latte um einen mit Gewürz angereicherten Café Latte handelt, bestelle ich davon im Starbucks hinter der Village Lodge zwei Stück, nur um später im Auto dann festzustellen, dass es sich dabei um ein pappsüßes Gebräu handelt, das mit Kaffee ungefähr so viel gemein hat wie ein Pulled Pork Sandwich mit einem Nutellabrot. Gut, jetzt ist es schon passiert, und die 9,50 $ will man auch nicht unbedingt in den Ausguss kippen. Wir beladen also mit etwas weniger Elan als sonst unser Fahrzeug und starten Richtung Norden, wo nach ca. einer Stunde Fahrzeit der erste Stop auf uns wartet, die Überreste der alten Goldgräbersiedlung Bodie.

Der Weg verläuft im letzten Teilstück etwas abenteuerlich, denn man fährt die letzten zehn Meilen auf einer nur spärlich mit Wegweisern versehenen Gravel Road. Es gibt so gut wie keinen Verkehr auf der Strecke und wir haben mehrmals den Verdacht, hier falsch zu sein, bis wir dann doch irgendwann auf eine längere Schlange an Fahrzeugen stoßen, die sich vor einem Kassenhäuschen stauen. Hier geht es erst mal nicht weiter, wir stehen eine ganze Weile an, ohne dass sich die Schlange auch nur einen Meter bewegt. Den Kollegen im Fahrzeug vor uns, der vielleicht auch das falsche Getränk bei Starbucks geordert hat, bringt die Warterei recht schnell auf die Palme. Er verläßt sein Auto und läuft lamentierend daneben auf und ab. Als wir dann irgendwann an der Reihe sind, mit unserem Auto den Check Point zu passieren, wird uns klar, warum es hier nicht so zügig voran geht, der Kollege im Kassenhäuschen hält gern mal ein Schwätzchen mit jedem, der hier einfährt. Zudem wird nur Bargeld akzeptiert, in unserem Fall 26 $ inkl. Guide für das Gelände, wir haben’s passend, die nach uns kommenden werden es uns danken.

Ich wollte schon immer mal eine der zahlreichen Geisterstädte in den USA besuchen. Doch auch wenn zu der relativ frühen Stunde noch gar nicht so viele Besucher hier sind, ein richtiges Geisterstadt-Feeling will sich bei mir nicht einstellen. Interessant ist es aber trotzdem. Gerade der Blick ins Innere der Gebäude (leider nur durch die Fenster, die Gebäude bleiben für den Regelbetrieb geschlossen) offenbart echte Einblicke in das damalige Leben. Ich versuche mir vorzustellen, wie sich das Leben vor ca. 150 Jahren hier abgespielt haben mag, die Relikte, die die Zeit bis heute überdauert haben, liefern für meine Vorstellungskraft aber nicht genug Anhaltspunkte, um daraus das Bild einer belebten Kleinstadt aus der Goldrush Era zu entwerfen.

Unser Weg führt uns weiter über den Tioga Pass direkt in den Yosemite Nationalpark. Auch diese Strecke ist uns von einem früheren Besuch noch sehr vertraut. In den höheren Lagen des Parks ist es aber heute sehr windig und bewölkt, wir stoppen an mehrerenAussichtspunkten, ein weiteres stimmungsvolles Foto von El Cap will mir aber nicht gelingen, nur der Half Dome zeigt sich in weiter Ferne und verschleiert. Der Park steht diesmal auch nicht im Mittelpunkt unseres Besuchs und so fahren wir nur langsam die Meilen bis zum gegenüberliegenden Ausgang, leider können wir dabei auch keine Sichtungen von einheimischen Tieren verzeichnen. Direkt hinter dem Park befindet sich dann auch schon der kleine Ort Groveland, in dessen unmittelbarer Nähe sich unsere Unterkunft für die nächsten beiden Tage befindet, das Yosemite Rose B&B. Weil wir auch hier schon einmal zu Gast waren, ich aber der einzige bin, der das zum jetzigen Zeitpunkt weiß, erkläre ich noch einen Stop bei einem Supermarkt für dringend notwendig. Das B&B liegt doch etwas abgelegen, und es ist hier draußen nach Einbruch der Dämmerung sehr dunkel. Dafür bietet das B&B viel Platz und die richtigen Voraussetzungen für ein Abendessen nach deutscher Tradition. Wir versorgen uns also mit Brot, Wurst, Käse und ein paar Oliven und natürlich darf auch eine auffällige Flasche einer ortsansässigen Brauerei nicht fehlen.

So ausgerüstet machen wir uns auf die letzten 12 km bis zum Ziel. Beim passieren eines Pizzalokals, in dem wir schon mal gegessen haben, fällt beim Schafi leider der Groschen und das Geheimnis um unsere Unterkunft ist gelüftet. Der volle Parkplatz zeigt, dass das B&B scheinbar immer noch zu den gut gebuchten Adressen zählt, zudem besteht vielleicht die Möglichkeit für ein paar nette Gespräche mit anderen Gästen, ein Grund, warum wir gerne solche Unterkünfte wählen. Tatsächlich bin ich aber noch aus einem anderen Grund froh darüber, dass es uns noch einmal möglich war, hier her zurückzukommen. Wir hatten beim letzten Besuch einen schon beinahe freundschaftlichen Kontakt zu den Betreibern, spezielldie beiden Gründer, Don und Kathrine, sind mir über all die Jahre im Gedächtnis geblieben.

Von den beiden ist bei unserer Ankunft aber erst mal nichts zu sehen. Begrüßt werden wir von einem Herren Namens Daniel, den wir scheinbar gerade beim Klavierspielen gestört haben. Er fragt als erstes mal nach meiner Kreditkarte und gibt uns dann eine kurze Tour durch’s Haus. Das Zimmer, das wir diesmal bewohnen ist klein aber sauber, was man von der Küche leider wieder mal nicht behaupten kann. Wir stoßen dort auf diverse Essensreste und benutztes Geschirr, zudem machen die Arbeitsflächen und der Fußboden den Eindruck, als müsste sich dringend wieder mal jemand um deren Reinigung kümmern, ich kann das Schafi nur mit Mühe davon abhalten, als dieser Jemand einzuspringen. Das hatten wir irgendwie anders in Erinnerung, auch dass auf unserem Zimmer keine Handtücher liegen und der Empfang der Gäste mal wieder an jemanden delegiert wurde, den wir nicht erwartet haben, will uns nicht so richtig gefallen. Anstelle anderer Menschen stoßen wir dafür auf eine sich stetig vergrößernde Anzahl von Hunden, die scheinbar ungehindert Zugang zum Haus und speziell zur Küche erhalten, all das wirkt irgendwie zunehmend beklemmend.

Wir setzen uns schließlich mit unseren mitgebrachten Lebensmitteln auf die Veranda und versuchen, unsere ersten Eindrücke zu verarbeiten. Während wir da so sitzen, beobachten wir irgendwann durch eines der Fenster Aktivität in der Küche. Gary, wie er sich uns später vorstellt, ist der Ehemann der derzeitigen Betreiberin des B&B und scheinbar von uns dreien sehr angetan, zumindest ist “You are so wonderful people” abwechselnd mit “You are all so good looking guys” in den ersten fünf Minuten das Einzige, was wir von ihm zu hören bekommen. Irgendwann scheint er sich dann zu beruhigen und möchte uns gerne was zu Essen kochen, naja, das haben wir ja inzwischen schon hinter uns. Dann will er uns wenigstens noch ein Bier spendieren, dabei erzählt er uns von seiner Zeit bei der Army, die er – wie wohl tatsächlich jeder dritte Ami – in Deutschland, genauer in Bamberg verbracht hat. Er setzt sich mit uns an den Tisch und wir reden über alles mögliche mit ihm. Jetzt habe ich auch endlich Gelegenheit, nach den früheren Eigentümern zu fragen. Diese würden inzwischen etwas weiter außerhalb wohnen, die Wahrscheinlichkeit für ein erneutes Aufeinandertreffen ist da wohl eher gering. Gary outet sich im weiteren Verlauf der Unterhaltung als ziemlich chauvinistischer und etwas prahlerischer Kapitalist. Als wir über unsere Jobs sprechen, versucht er eine Weile, uns davon zu überzeugen, uns auf Jobs zu konzentrieren, die einen erschaffenden Aspekt beinhalten und dann nach Amerika umzusiedeln. Als wir ihm erklären, dass wir viel lieber einen Familienbetrieb hätten, so wie ihn seine Frau hier betreibt, verabschiedet er sich sehr schnell, das ist wohl so gar nicht seine Welt. Mit einem Schluck eines recht guten Whiskeys, der hier für die Allgemeinheit auf dem Tisch im Esszimmer bereitsteht, begeben wir uns auf unser Zimmer und schlafen bald darauf ein.

Der nächste Tag beginnt mit einem erwartungsgemäß guten Frühstück auf der Veranda. Heute treffen wir auch auf Scelestia, den eigentlichen Inn Keeper. Auch Daniel, der barfuß durch’s Haus laufende Rezeptionist vom Vortag, ist wieder da, wirkt heute aber sehr viel beflissener als am Vortag. Das B&B ist tatsächlich ausgebucht, alle Tische sind besetzt. Vermutlich ist das der Grund dafür, dass wir nicht gefragt werden, ob uns die Kombi aus French Toast und Bratwurst, die im zweiten Gang serviert wird, jedem zusagt, das Herdenbaby wenigstens verdreht angesichts der Wurst die Augen und jeweils ein Stück wandert auf den Teller vom Schafi bzw. auf meinen eigenen.

Nach dem ansonsten ausgezeichneten Frühstück wird es Zeit für meine nächste Überraschung. Ich hatte Scelestia noch von Vegas aus angerufen, um bei ihr einen kleinen Ausritt für das Herdenbaby zu organisieren, da wir auf unserer Reise keine der anderen sich bietenden Gelegenheiten nutzen konnten und ich mich daran erinnert habe, dass dieser Service auch bei unserem letzten Besuch schon angeboten wurde. Das Herdenbaby weiß erst mal gar nicht, wie es reagieren soll. Vorfreude und die Angst, irgend etwas falsch zu machen, wechseln sich minütlich ab. Scelestia erklärt, dass sie die Pferde erst einfangen muss, da sich diese auf einer für deutsche Verhältnisse riesigen Koppel frei bewegen können und daher keinen unbedingten Drang verspüren, von einem Reiter für einen Ausritt hergerichtet zu werden. Wir beobachten das Spektakel aus der Ferne und haben schon die Befürchtung, dass die Aktion doch ausfallen oder verschoben werden muss, schließlich gelingt es aber doch, zwei Tiere zu satteln und reitfertig zu machen.

Während der kommenden fast zwei Stunden werden ein paar organisatorische Dinge erledigt, darunter auch mal ein Kassensturz und eine Bilanz unserer bisherigen Ausgaben. Wir liegen absolut im grünen Bereich und können unsere letzte Woche in den USA beruhigt genießen, ohne auf jeden Cent achten zu müssen.

Nach dem Ende der Reitstunde stecken wir unsere Ausflugsziele für den restlichen Tag ab. Beginnen wollen wir im Calaveras Big Trees Preserve, einem State Park, in dem man – wie im derzeit geschlossenen Mariposa Grove im Nationalpark – die gigantischen Sequoias bestaunen kann.

Der Weg dort hin zieht sich leider ziemlich in die Länge, da er in großen Teilen entlang an malerischen Hängen und einem großen See verläuft, landschaftlich top, fahrerisch aber wegen der vielen Serpentinen und der geringen Geschwindigkeit eher eine Herausforderung. Der Park selbst ist den Ausflug aber auf jeden Fall wert. Auch wenn die aufgestellten Kästen mit den Guides für die self-guided Tour ledier alle leer sind, die gigantischen Baumriesen werden an zahlreichen Stationen gekonnt in Szene gesetzt und es bieten sich einem zahlreiche Fotomotive.

Wesentlich später als erwartet setzen wir unseren Weg weiter fort, nächstes Ziel ist Murphys, eine Kleinstadt aus der Goldgräber-Epoche, die deren Ende aber überdauert hat und die Überreste dieser Zeit heute tourismuswirksam in Szene setzt. Als wir dort ankommen müssen wir aber leider feststellen, dass dort an einem Sonntag am späten Nachmittag nichts mehr los ist und bereits alles geschlossen hat, ähnliches wird dann wohl auch auf das letzte Ziel, den Columbia Historic State Park zutreffen.

Bei der Frage nach dem Ort für unser heutiges Dinner gewinnt die Veranda unseres B&B erneut den Zuschlag und wir stocken in einem Markt noch unsere Vorräte auf. Der Vorsatz, heute mal ohne Alkohol auszukommen wird in geradezu lächerlich kurzer Zeit von einer Flasche eines Imperial Stouts mit einem Totenkopf auf dem Label vernichtet, das wir beim besten Willen nicht zurücklassen können.

Zurück in der Unterkunft stellen wir fest, dass wohl nur wenige Gäste bis zum Montag bleiben werden, es sieht ziemlich leer aus. Als wir unsere Vorräte auf die Veranda bringen wollen, entdecken wir dann tatsächlich Don, den Gründer des B&B, in einer Ecke sitzend. Nach einer kurzen Phase des Erinnerns scheint ihm unser Besuch von vor sechs Jahren wieder sehr präsent zu sein. Er setzt sich – wie sein Schwiegersohn am Vorabend – mit zu uns an den Tisch und wir führen alle eine angeregte und interessante Unterhaltung. Mehrfach will uns Don davon überzeugen, dass wir genau das sind, was dieses Land braucht, im Gegensatz zu den ganzen illegalen Einwanderern. Tja, er ist halt ein Republikaner durch und durch, aber dass er mir mehrfach anbietet, ein Schreiben für uns zu verfassen, falls es uns die Übersiedlung erleichtern würde, und mir dafür sogar noch seine private E-Mail-Adresse aufschreibt, finde ich schon beinahe rührend. Dass er aber die ganze Familie antreten läßt, um dem “amazing man from Germany” die Hand zu schütteln, inklusive seiner Enkelkinder, überfordert mich eher etwas. Da könnte ich mich noch mehr mit der Idee anfreunden, das von ihm geforderte Buch zu schreiben, denn “you gotta tell the people. About your live as a handicapped guy”. Well, actually i am not sure about that.

Wir haben auf unserem bisherigen Reiseverlauf viele sagenhaft schöne Orte gesehen und viele kurzfristige Bekanntschaften gemacht, aber dieser Ort nahe des Yosemite Nationalparks wäre wie für uns geschaffen. Von den klimatischen Verhältnissen, die hier das ganze Jahr über herrschen bis hin zu den unendlichen Weiten, die einem einfach ein Gefühl von Freiheit und Unbedrängtheit vermitteln, passt hier einfach alles. Leider geht die Zuneigung der herzlichen Leute, die das Yosemite Rose führen nicht so weit, dass sie uns als potenzielle Nachfolger in Erwägung ziehen würden, aber nach einer Runde Hugs für alle meint Don noch, dass wir nach unserer Umsiedelung eine Woche gratis bei ihm wohnen dürften. Wenn das mal kein Ansporn ist?

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